Die ruandische NGO „Hand in Hand for Development“ (übersetzt: Hand in Hand für Entwicklung, kurz: HIHD) arbeitet daran die Lebensbedingungen von marginalisierten Bevölkerungsgruppen zu verbessern und sie (wieder) in die Gesellschaft einzugliedern. Bereits im Juni 2019 hat der Lemonaid und ChariTea e.V. die Organisation für ein Jahr bei der Förderung von zwei Jugend- und Frauenkooperativen unterstützt. Mit dem Ziel Frauen und Jugendliche in die Selbstständigkeit zu entlassen, ihr Einkommen zu erhöhen und die Lebensqualität zu verbessern. Nach einem erfolgreichen ersten Jahr wird das Projekt nun für weitere zwei Jahre gefördert. Die Zahl der geförderten Kooperativen wird erweitert und mehr Menschen werden von dem Programm erreicht.

Ruandas Geschichte ist geprägt von Auseinandersetzungen zwischen den zwei größten Bevölkerungsgruppen des Landes, den Hutu und den Tutsi. Der Konflikt gipfelte 1994 in einem tragischen Genozid an der Tutsi-Minderheit. Trotz anhaltender Spannungen zwischen den beiden Gruppen, hat das Land in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Fortschritt auf vielen Ebenen erreicht. Ruandas Regierung hat sich stabilisiert, Korruption erfolgreich reduziert und für einen wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt. In Afrika gilt das Land als Vorbild für die wirtschaftliche Modernisierung. Nichtsdestotrotz hat Ruanda mit großen sozialökonomischen Herausforderungen zu kämpfen. Fast 40% der Bevölkerung leben noch immer unterhalb der Armutsgrenze. Insbesondere die 70% die in der Landwirtschaft arbeiten, können kaum von ihrer Arbeit leben und sind sehr arm. Weiterhin stellt die Ernährung der Bevölkerung eines der größten Probleme in dem sehr dicht besiedelten Land dar.

Die Frau in Ruanda – zwischen Chef:innentage und marginalisierter Bevölkerungsgruppe

Die Rolle der Frau in Ruanda bewegt sich bislang zwischen zwei Polen. Eigentlich ist die Frau dem Mann traditionell untergeordnet. Nach dem Krieg musste die Regierung jedoch auf den Verlust vieler männlicher Vormünder reagieren. Somit wurden viele neue Gesetze erlassen, welche Frauen mehr Rechte gaben. Frauen dürfen nun selber erben oder Familienoberhaupt werden. Auch in anderen Bereichen gibt es frauenförderliche Gesetze. Beispielsweise müssen mindestens 30% der Entscheidungsgremien mit Frauen besetzt sein. Somit sind heute etwa 61,3% aller Parlamentsabgeordneten Frauen. Damit liegt Ruanda in Sachen Frauenrechte vielen Ländern weit voraus. Trotz all dem dominiert immer noch die traditionelle Vorstellung der Frauenrolle in den Köpfen der dort lebenden Menschen. Diese drückt viele wirtschaftlich und sozial benachteiligte Frauengruppen an den Rand der Gesellschaft.

Unsere Partnerorganisation, die lokale NGO Hand in Hand for Development, arbeitet mit wirtschaftlich geschwächten Frauengruppen, Witwen, jungen Müttern und HIV infizierten Frauen. Sie unterstützen außerdem andere marginalisierte und von der Gesellschaft häufig ausgeschlossene Gruppen: jugendliche Arbeitslose, Menschen mit Behinderung oder Waisenkinder. Dabei treibt die Organisation immer ein Ziel an: der Wunsch das Wohlbefinden der gesamten Gesellschaft zu sichern. Das heißt insbesondere die Lebensbedingungen und Selbstständigkeit derer zu stärken, die es aus eigener Kraft nicht können. Dies tun sie mit voller Motivation seit 8 Jahren in unterschieldichen Bereichen: Stärkung unternehmerischer Fähigkeiten von Frauen und jungen Menschen, Förderung von einkommensgenerierenden Projekten, Schutz von Menschen- und Kinderrechten, als auch die Sicherung von Gesundheits-, Wasser- und Sanitärversorgung.

Das Portrait einer Frau, die Mitglied der Rwandan Art Group Kooperative ist.
Mitglied der Frauenkooperative Rwandan Art Group © Jean Bizimana

Stärkung von wirtschaftlicher Selbstständigkeit

Die westliche Provinz von Ruanda im Rubavu Distrikt ist besonders geprägt von den jahrelangen Konflikten. Der Genozid im Jahr 1994 hat hier langfristig große Schäden angerichtet. Neben den zahlreichen traumatischen Erlebnissen unter denen viele Menschen bis heute leiden, hinterließ der Konflikt viele junge Mütter, Witwen und Jugendliche, die sich aufgrund einer hohen Arbeitslosigkeit in Drogenkonsum und Kriminalität flüchten oder sich wegen sexuellen Missbrauchs mit HIV/AIDS infizierten. Trotz großer Anstrengungen, die in diese Region investiert worden sind, gibt es weiterhin vielerlei Hürden. Viele Menschen erreichen die sozialen Programme der Regierung nicht oder es fehlt an Bildung und Information, um davon profitieren zu können.

Das Projekt „Grassroots youth and women empowerment initiatives for self-reliance of Rubavu District“ (Graswurzel-Initiativen zur Stärkung der Jugend und der Frauen für die Eigenständigkeit des Distrikts Rubavu) von HIHD adressiert diese Problematik. Es fördert die Stärkung von Jugend-und Frauenkooperativen mit dem Ziel, die beteiligten Mitglieder der Kooperativen durch ein eigenes, höheres Einkommen zu mehr wirtschaftlicher und daraus folgend auch sozialer Selbstständigkeit zu unterstützen. Dafür leistet die NGO Hilfe beim Ausbau von wichtigen Kompetenzen im Feld Finanzen und Unternehmensführung. Zudem erleichtert sie den Zugang zu Finanzen. Damit können einkommensgenerierende Tätigkeiten in den Bereichen Nähen, Weben, Schneidern, Handwerk und Landwirtschaft geschaffen werden.

Zugang zu Finanzen schafft Jobs

Für die einjährige Pilotphase wurden zwei Kooperativen mit jeweils 20 Frauen ausgesucht. Die Rwandan Art Kooperative aus der Gisenyi Region, die in Handarbeit, Schneiderei und anderen handwerklichen Bereichen tätig ist und die landwirtschaftliche Kooperative Twisungane Rungu aus der Mudende Region. In einem ersten Teil des Projektes steht der Ausbau der Kompetenzen für unternehmerische Selbstständigkeit im Mittelpunkt. Die NGO vermittelte in einem 5-tägigen Workshop wichtige Kenntnisse in Finanzen, Rücklagenaufbau, Unternehmensführung und Management, um eine nachhaltige Unternehmensentwicklung und Einkommen der Projektteilnehmenden zu sichern. Anschließend fand ein organisiertes Treffen mit Mikrofinanzinstituten und Banken statt. Es dient dazu Informationen über Kredite, Rücklagen und andere Bankdienstleistungen zu vermitteln und soll dazu ermutigen Rücklagen anzulegen. Im selben Zuge wurden Bankkonten für jede Kooperative und die Mitglieder eröffnet.

Der wohl wichtigste Schritt der Projektphase sind zwei rotierende Kredite im Wert von jeweils 6,000,000 Rwf (umgerechnet etwa 5790€, Stand 12/2019). Mit diesem Kredit kann jedes Mitglied der Kooperative eine unternehmerische Aktivität ausführen. Gemeinschaftlich mit dem Team von HIHD haben die Mitglieder entschieden, welches Mitglied einen Kredit in welcher Höhe ausgeschüttet bekommt, abhängig von den persönlichen Kapazitäten und der Tätigkeiten. Die Kredite werden auf einer monatlichen Basis oder abhängig von den Erntephasen in der Landwirtschaft zurückgezahlt. Der Vorteil: der Zinssatz von 10% ist um einiges niedriger als bei einem üblichen Mikrokredit direkt von der Bank. Das erleichtert den Aufbau ihrer Geschäfte, indem es den Druck rausnimmt und ein potenzielles Risiko minimiert. Die zurückgezahlten Gelder werden dann wieder neu als Kredite ausgeschüttet, um so eine Kontinuität in der Unternehmensentwicklung zu garantieren.

Eine Frau der Rwandan Art Group Kooperative beim Nähen einer Puppe. Von dem gewonnen Einkommen kann sie ihre Selbstständigkeit stärken.
Mitglied der Rwandan Art Group Kooperative beim Nähen © Jean Bizimana

Eine erfolgreiche Pilotphase: mehr Empowerment und ein höheres Einkommen

Die Ergebnisse der Pilotphase sind vielversprechend: Alle 40 Teilnehmer:innen konnten mit ihrem Anteil des Kredits eine einkommensschaffende Tätigkeit etablieren und somit in die Selbstständigkeit entlassen werden. Besonders erfreulich: die Teilnehmer:innen konnten ihr Einkommen von 1$ am Tag auf durchschnittlich 4$ am Tag anheben. Das hat zu einer Verbesserung ihrer eigenen Lebensqualität und der ihrer Familie geführt. Einige in der Landwirtschaft und Viehzucht tätige Frauen, konnten sogar in mehr Land und weitere Tiere investieren, um ihr Geschäft auszuweiten.

Durch die Stärkung ihrer finanziellen und unternehmerischen Fähigkeiten in der Slebstständigkeit haben die Mitglieder der Kooperativen erlebt, dass sie nicht von ihren Ehemännern oder Anderen abhängig sein müssen. Das wiederum führte zu der Verbesserung vieler ehelicher Beziehungen. Durch ihr eigenes erhöhtes Einkommen haben die Frauen das Gefühl sich in wichtige Entscheidungen des Haushaltes miteinbringen zu können. Ebenso fühlen sie sich in der Lage etwas zu ihrer Gemeinschaft beitragen zu können und dadurch als Mitglied in dieser bestärkt.

Ausblick auf nachhaltigen Erfolg

Ein Ausbruch des Ebolavirus in einer angrenzenden Region und die globale COVID-19 Pandemie haben leider eine beträchtliche Herausforderung für die Erfolge des Projektes dargestellt. Besonders die Mitglieder der Rwandan Art Group hat die Pandemie schwer getroffen. Einige konnten wegen der Lockdown Maßnhamen ihre Geschäfte nicht fortsetzen. Im Gegensatz dazu hat die Gruppe, welche in der Landwirtschaft und Viehzucht tätig ist, keine Einbußen erlebt. Sie konnte ihr Geschäft sehr ertragreich fortführen. Einiger Rückschläge zum Trotz, beweist das erste Jahr der Implementierung großes Potenzial einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen leisten zu können. Der Einsatz aller Mitglieder zeigt, dass der Wille zu mehr Selbstständigkeit und eigener Verantwortung da ist, was Hoffnung auf einen nachhaltigen Erfolg gibt.

Positive Wirkung ermöglicht Unterstützung weiterer Kooperativen

In einer zweijährigen Fortsetzung werden zusätzlich zu den zwei Kooperativen aus dem ersten Jahr, zwei neue Gruppen finanziell gefördert und in dem Ausbau ihrer Geschäfte unterstützt. Die neuen Jugend- und Frauenkooperativen bestehen aus jeweils 20 und 25 jugendlichen Frauen und jungen Müttern. Wie in der Pilotphase, wird HIHD diese Gruppen ebenso in ihren finanziellen und unternehmerischen Kompetenzen schulen. Sie werden mit einer Mikrofinanzinsititution oder Bank in Kontakt gebracht, bevor Kredite an sie ausgeteilt werden.

In der Weiterführung des Projektes wird HIHD den Gruppen außerdem bei der formalen Registrierung als Kooperative helfen, die Konstruktion einer Lagerhalle für die Lagerung von Saat unterstützen und einen Austausch der Kooperativen untereinander anregen. Dabei sollen Erfahrungen und erfolgreiche Strategien ausgetauscht werden, die einer Stärkung der einzelnen Kooperativen dienen. Die Erfahrung aus dem ersten Jahr zeigt auch, dass regelmäßige Kontrollen und eine kontinuierliche Projektbegleitung ein wichtiger Schlüssel für den Erfolg der Implementierung sind. Dies wird also in einer Fortsetzung des Projektes weitergeführt und intensiviert.

Frauen nehmen an der Besprechung der Twisungane Rungu Kooperative teil, wo über die Finanzen der Gruppe gesprochen wird.
Besprechung der Twisungane Rungu Kooperative © Jean Bizimana

Neue Herausforderungen in der Selbstständigkeit meistern

Infolge der Corona Pandemie haben sich außerdem neue Herausforderungen für die Lebensbedingungen der Frauen in der westlichen Provinz Ruandas ergeben. Viele Frauen in Selbstständigkeit können ihre Geschäfte nicht wie gewohnt fortsetzen und müssen wieder mit weniger Einkommen zurechtkommen. Aufgrund der Isolierung besteht die Gefahr, dass häusliche Gewalt zunimmt und Informationen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Virus viele Frauen und Familien nicht erreichen. Die erschwerten Bedingungen möchte die Organisation nicht unbeachtet lassen. Sie versucht bereits jetzt schon und in den kommenden Monaten noch intensiver, die resultierenden Rückschläge abzufedern. HIHD klärt über die Gefahren der Pandemie, Hygieneregeln und Maßnahmen zur Prävention von möglichen negativen Folgen im privaten Haushalt auf.

Der Lemonaid und ChariTea e.V. fördert das Projekt durch finanzielle Unterstützung der Trainings, des Kreditprogramms, der Übernahme von administrativen und logistischen Kosten, sowie jährliche externe Prüfungen und den Bau der Lagerhalle. Zusätzlich decken die Fördermittel die Kosten für Corona-Hygienemaßnahmen und eine Kapitalerhöhung für die Teilnehmer:innen, die durch die Pandemie besonders betroffen sind. 

Das Projekt trägt dazu bei Armut in der westlichen Provinz Ruandas zu reduzieren und marginalisierten Menschengruppen eine wirtschaftliche und soziale Teilhabe zu ermöglichen. Die Projektteilnehmenden erfahren nicht nur finanzielle Selbstständigkeit, sondern auch ein gestärktes persönliches Selbstbewusstsein und erkennen, dass sie nicht von jemandem abhängig sein müssen. Sie können ihre eigenen Grundbedürfnisse selber erfüllen und dazu beitragen die Lebensbedingungen ihrer Gemeinschaft und ihrer Familie zu verbessern. Gleichzeitig führt das Bewusstwerden der eigenen Autonomie zu verbesserten Beziehungen im eigenen Haushalt und der Reduzierung von Diskriminierung und Stigmatisierung.