Nach Monaten der Vorbereitung und des Zitterns um die Visagenehmigung war es endlich soweit: Der erste Besuch eines Vereinspartners stand vor der Tür. Unser Freund und Fotograf Jean Bizimana aus Ruanda verbrachte im November eine Woche bei uns in Hamburg. Das Highlight stellte die Aus- und Vorstellung seiner Arbeit im Kölibri in St. Pauli dar. Es wurde nicht nur Jeans Arbeit mit dem Verein in den unterschiedlichen Projekten beleuchtet, sondern auch sein neustes Projekt „Mothers“ und unsere Vereinsausstellung gezeigt.
Im September 2017 lernten wir durch die Initiative Taking pictures, changing lives den ruandischen Fotografen Jean Bizimana kennen (um mehr über die Geschichte zu erfahren, klick hier). Seitdem ist viel passiert. Jean hat uns in 2019 schon zum zweiten Mal auf Projektreise in Ruanda begleiten können und ist über die Zeit zu einem engen Vertrauten des Vereins geworden. Mittlerweile fotografiert er nicht nur, sondern ist nebenbei als Übersetzer tätig, berät uns bei schwierigen Entscheidungen und inspiriert das Team immer wieder durch neue Gedankengänge.
Perspektivenwechsel: Wir als Gastgebende
Dieses Jahr hatten wir endlich die Möglichkeit ihm unsere alltägliche Arbeit in Hamburg näherzubringen. Die Zeit von der Idee und ersten Absprache bis zu seinem Besuch ist wie im Flug vergangen. Auch Jean ist bis jetzt überrascht:
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich ein Visum bekomme. In den letzten Wochen war ich beruflich viel unterwegs und konnte so meinen Pass nicht an die Botschaft mitschicken. Die Genehmigung kam daher überraschend. Aber früher dachte ich auch, dass ich generell niemals nach Deutschland kommen würde.“
Das hat sich zum Glück geändert. In der Woche, die Jean mit uns verbracht hat, lernte er die Abläufe im Verein kennen, und hat gleichzeitig, durch die Mitfahrt auf Auslieferungsfahrten, einen Einblick in die Arbeit der Lemonaid & ChariTea GmbH gewinnen können. Jean zeigte sich begeistert: „Jeder aus dem Verein und der GmbH hat sich gefreut, dass ich da bin und wollte mir das Beste aus Deutschland zeigen.“
Die Macht der Bilder
Zum Abschluss seiner Zeit in Hamburg veranstaltete der Lemonaid & ChariTea Verein zusammen mit Jean einen Abend zu „Perspektiven aus Ruanda“. Bei diesem haben neben der Hauptperson, Jean Bizimana, auch unsere Kommunikationsverantwortliche Hanna Brüning und Eliphaz Ntibizerwa, der Gründer der Organisation Friends of Ruanda, über die Projekte in Ruanda, den Lebensweg und die Sprache von Bildern referiert. Vor und nach den Vorträgen gab es Zeit sich durch die Ausstellung über die Arbeits- und Wirkungsweise des Vereins, sowie die Prozesse rund um die Förderung von Projekten zu informieren und sich mit Jean über seinen Beitrag und sein eigenes Projekt auszutauschen.
Eine wichtige Anekdote des Abends, die uns wohl noch lange in unserer Arbeit begleiten wird, handelt von der gemeinsamen Auswahl der ausgestellten Bilder. Denn besonders ein Bild, die Darstellung eines Bananenbierproduzenten, sorgte schon im Vorhinein für angeregten Austausch zwischen dem Verein und Jean. Es zeigt eine Person of Color, die mit halbem Körper in einer Art „Brei“ kniet und mit verschmutzter Kleidung zum Fotografen aufschaut.
Der Verein versucht sich durch Selbstreflexion und der Bewusstmachung der eigenen privilegierten Position, besonders bei der Auswahl von Darstellungen, machtkritisch aufzustellen. Gerade bei einem solchen Foto ist die Auseinandersetzung mit White Privilege für uns allgegenwärtig: Tragen wir mit der Ausstellung dieses Fotos zur Stereotypisierung bei, vor allem ohne in dem Moment den Kontext zu kennen? Jean wählte dieses Bild jedoch für die Ausstellung aus: Für ihn war klar, das Bild zeigt eine Person, die mit der Unterstützung des Partnerprojektes Ruanda sustainable families, ihr eigenes Getränke-Business aufgebaut hat, bei der täglichen Arbeit – der Herstellung von Bananenbier. Es ist damit das perfekte Bild im Kontext von Lemonaid. Aus solchen Erlebnissen lernen wir immer wieder. Es wird uns bewusst, wie bedeutend Kontextbezug ist, und welche Fülle an Informationen und Interpretationen in Bildern steckt. Kontextbezug herzustellen liegt in unserer Verantwortung und es ist wichtig, von Menschen wie Jean immer wieder daran erinnert zu werden.
Jean, was ist dir wichtig?
Am Abend und in Gesprächen während der Woche erzählte Jean über sein neustes Projekt, wie es dazu kam, dass er nun mit NGOs zusammenarbeitet, und warum er speziell die Arbeit des Vereins unterstützt: „Der Lemonaid & ChariTea Verein war die erste NGO, mit der ich zusammengearbeitet habe. Ich bin im Allgemeinen ein Fotojournalist, der über Konflikte, aktuelle Nachrichten und Politik berichtet. Leichen zu sehen, war für mich früher normal und ich dachte das gehöre zum Leben dazu. Aber nachdem ich mit humanitären Organisationen zusammengearbeitet und gesehen habe, wie sie Menschen unterstützen, die sie nicht kennen, begann ich darüber nachzudenken, dass es etwas gibt, das mir im Leben fehlt. Das war für mich: Liebe und Barmherzigkeit.“
Mothers – die Suche nach der mütterlichen Perspektive
Auch sein neustes Projekt „Mothers“ hängt mit dieser Erkenntnis zusammen. Jean hat seine Kindheit in einem Waisenhaus verbracht und hat dort für sich selbst erkannt, dass er die spezielle Mutter-Kind-Verbindung, in seinem Leben vermisst hat. Um dieses Gefühl einzufangen und auch für andere sichtbar zu machen, besuchte Jean Mütter in verschiedensten Lebenslagen, fotografierte sie und fragte, was Muttersein für sie ist:
„Ich begann mit dem Projekt „Mothers“ die wahre Bedeutung des Mutterseins zu erforschen, denn nach meiner Adoption, als ich 20 Jahre alt war, war es für mich sehr schwer, mit meiner Adoptivfamilie zu leben, weil ich nicht wusste, wie es ist in einer Familie zu leben.“
Das Projekt hat ihm dabei geholfen, diese spezielle Verbindung zu ergründen und hat uns gezeigt, wie verschieden und dennoch gleich das Mutter-sein in unterschiedlichen Konstellationen ist.
Die Ausstellung ist ein großer Moment in der Lemonaid & ChariTea Vereinsgeschichte. Die Vorträge und Bilder waren nicht nur für uns, sondern auch für die zahlreichen Besucher*innen Inspiration und haben Fragen und Anregungen ans Licht gebracht, mit denen wir uns tagtäglich beschäftigen dürfen.
Eine Möglichkeit zu schaffen unsere Arbeit für Partner*innen aus den Projektländern durch einen Besuch verständlicher zu machen, ist ein Privileg, das wir nicht missen wollen.
Für uns ist klar: Dies wird nicht der letzte Besuch sein.
Falls Ihr mehr über Jean Bizimanas Arbeit erfahren wollt, schaut gerne auf seinem Blog oder seinen Social Media Kanälen vorbei:
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