Berta Martin Lopez ist Professorin für Nachhaltigkeitswissenschaften an der Leuphana Universität. In ihrer Forschung untersucht sie, wie Werte, Wissen und Institutionen den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft beeinflussen. Berta legt dabei großen Wert auf die Interdisziplinarität ihrer Forschung und betont die Wichtigkeit von lokalem Wissen und sozialen Wahrnehmungen für die Steuerung sozio- ökologischer Systeme. Neben ihrer Forschung war Berta auch eine der Autor*innen der Ziele für nachhaltige Entwicklung
koordiniert vom Internationalen Wissenschaftsrat (ICSU). Auch bekannt als Sustainable Development Goals, abgekürzt SDGs. Klar, dass ihre Stimme und Meinung gefragt ist. Zustäzlich sehr relflektiert über die eigenen Ressourcen hat sie im letzten Monat entschieden ihr Amt als Beirätin des Lemonaid & ChariTea e.V. wegen Zeitmangel abzugeben. Corona hält gerade Lehrende besonders auf Trab und die Bedeutung der Themen an denen sie forscht haben in dieser Zeit alles andere als abgenommen. Wir haben mit ihr Mitte des Jahres über die Bedeutung der SDGs und die Umsetzung im Gobalen Süden gesprochen und sagen nochmal DANKE für die Untersützung und ihre wichtige Perspektive.
Um euch alle vor Beginn des Interviews abzuholen: Die SDGs sind Teil der globalen Nachhaltigkeitsagenda „Agenda 2030“, die 2015 von den UN- Mitgliedstaaten beschlossen wurde. Sie umfasst insgesamt 17 Zielen und 169 Unterzielen und strebt eine weltweite nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene bis zum Jahr 2030 an.
Welche Rolle spielen SDGs bei der Veränderung hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise?
Die SDGs sind die Leitlinie, um eine nachhaltigere und gerechtere Zukunft für alle voranzubringen. Da diese Ziele weltweit akzeptiert und 2015 von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen angenommen wurden, können sie als universeller Aufruf zum Handeln gesehen werden, um Ungerechtigkeiten zu beenden und die Biosphäre zu schützen.
Was siehst du als die größten Herausforderungen für die Umsetzung der SDGs?
Der universelle Charakter der SDGs ist die größte Stärke, aber auch die größte Herausforderung. Globale Nachhaltigkeitsinitiativen gewinnen an Schwung und Wirkung, die durch die SDGs ausgelöst werden. Es ist jedoch weniger klar, wie die SDGs auf lokaler Ebene umgesetzt werden und wie ortsbezogene Initiativen komplementäre Erkenntnisse liefern, um diese globale Bewegung in Richtung Nachhaltigkeit zu unterstützen.
Lösungen für Nachhaltigkeit, die an einem Ort funktionieren, könnten an einem anderen scheitern. Aus diesem Grund sollten globale Lösungen nicht die einzige Antwort sein, auch wenn die SDGs einen Handlungsrahmen bieten. Um globale Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, ist es unerlässlich, von lokalen Initiativen zu lernen und auf lokaler Ebene unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Realitäten zu handeln.
Wie kann die Erhaltung lokaler Wissenssysteme bei der Umsetzung der SDGs helfen?
Die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit wird oft auf lokaler Ebene ausgelöst, durch ortsbezogene Initiativen, die sich auf indigene und lokale Wissenssysteme stützen. Indigene Völker und lokale Gemeinschaften sind besonders gut in der Lage, einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten, da sie ein intrinsisches Interesse an der Erhaltung der Ökosysteme haben, in denen sie leben und von denen sie profitieren, und da sie über eine intime Kenntnis ihrer Gebiete und der darin ablaufenden Prozesse verfügen. Die durch ihr Wissen geprägte Verbundenheit mit ihren Territorien ist eine der Haupttriebkräfte für die Suche nach Lösungen, die nachhaltig und gerecht sind.
Was ist nötig, um SDGs gemeinsam mit Partnern im globalen Süden umzusetzen?
Es gibt Hunderte von Nachhaltigkeitsinitiativen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Obwohl diese Initiativen auf unterschiedliche Aspekte der Nachhaltigkeit abzielen, haben diejenigen, die bei der Verwirklichung von SDGs erfolgreicher sind, einige Gemeinsamkeiten. Erstens zielen ihre Vision und ihr Auftrag auf die Stärkung von Mensch-Natur-Verbindungen und menschlichen Beziehungen ab, die durch das Sein in der Natur gefördert werden. Zweitens stützen sie sich auf die Wissenssysteme, über die indigene Völker und lokale Gemeinschaften verfügen. Sie respektieren das indigene und lokale Wissen und beziehen es in die gesamte Entwicklung der Initiative ein, vom Entwurf bis zur Entwicklung der Ergebnisse. Drittens werden sie durch Strukturen von unten nach oben organisiert und verwaltet, die lokale Gemeinschaften und indigene Völker respektieren und einbeziehen. Jeder Versuch, Initiativen zur Erreichung der SDGs umzusetzen, erfordert notwendigerweise die Berücksichtigung dieser drei Aspekte.
Was können wir von Ländern des globalen Südens in Bezug auf die Umsetzung von SDGs lernen?
Wie Harini Nagendra in diesem 2018 veröffentlichten Artikel klar zum Ausdruck brachte, haben die Initiativen und Bewegungen zur Förderung der Nachhaltigkeit in Asien, Afrika und Lateinamerika einige Gemeinsamkeiten, von denen wir viel lernen können. Erstens betonen diese Initiativen Umweltgerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit. Sie sind sich bewusst, dass es keine Nachhaltigkeit ohne Gerechtigkeit gibt. Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit gehen Hand in Hand. Zweitens gehen, wie ich oben angedeutet habe, erfolgreiche Nachhaltigkeitsinitiativen in Asien, Afrika und Lateinamerika von der lokalen Bevölkerung, ihrem Wissen und ihrer Kultur aus. Häufig leiten Frauen, die auch für Geschlechtergerechtigkeit kämpfen, diese Initiativen. Drittens werden die Rechte der Natur betont und haben den gleichen Stellenwert wie die Menschenrechte. Gemeinsam ist ihnen, dass sie der Natur Raum geben, verwandtschaftliche Beziehungen zu den Naturelementen herstellen und sie als heilig betrachten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir durch das Miterleben von Nachhaltigkeitsinitiativen in Asien, Afrika und Lateinamerika lernen können, wie wir in Harmonie mit der Natur leben können.
Fotocredit: Nghilinawa Lolonyo Heita Natusch