Dies ist der zweite Teil einer Serie über die Wirkung unserer Projektpartnerschaften der letzten drei Jahre. Im ersten Teil haben wir die Ergebnisse von vier Projekten in Südafrika, Argentinien und Indien vorgestellt, deren Fokus auf der beruflichen Aus- und Weiterbildung und dem damit verbundenen Ziel der Einkommensgenerierung lag. In diesem Artikel nehmen wir den Impact von vier weiteren Organisationen, die wir in den letzten Jahren unterstützten, genauer unter die Lupe. Sie alle verfolgen auf unterschiedliche Art und Weise den Ansatz von „Graswurzel“-Innovationen, d.h. sie fördern z.B. neuartige Geschäftsmodelle aus der lokalen Bevölkerung heraus.


Der Begriff „Innovation“ ist ein Modewort geworden, vor allem im Social Business Sektor. Um als Unternehmen in der heutigen Zeit erfolgreich sein zu wollen, muss es innovative Produkte und Dienstleistungen anbieten, und auch intern möglichst innovativ und effizient arbeiten. Genau das gleiche gilt auch für den Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, wo der Begriff in letzter Zeit inflationär benutzt wird. Der Schwerpunk ist allerdings ein anderer: Bei der Entwicklung von nachhaltigen Lösungen von und für marginalisierte Gruppen im Globalen Süden geht nicht nur um technologische High-end-Innovationen. Es geht vor allem um effektive, zugängliche, erschwingliche und leicht anpassbare Lösungen. Diese können Communities nutzen, um ihre spezifischen Bedürfnisse gezielt anzugehen. In diesem Zusammenhang wird deshalb oftmals von inklusiven Innovationen gesprochen. „Graswurzel“-Unternehmer:innnen kombinieren beispielsweise traditionelles Wissen und Fertigkeiten aus der eigenen Community mit modernen Technologien und schaffen somit inklusive, innovative Produkte oder Dienstleistungen. Dadurch können sie einerseits lokale Einkommensmöglichkeiten generieren und andererseits durch technologische Neuentwicklungen die Ernährungs- und Gesundheitsversorgung stärken. Innovation können somit auf sehr vielfältige Weise dazu beitragen, die Lebensbedingungen von Menschen im Globalen Süden zu verbessern.

Schüler:innenwettbewerb erhöht Jobchancen von ruandischen Jugendlichen

Dies hat auch die britische NGO Teach A Man To Fish erkannt, die in verschiedenen Ländern auf der ganzen Welt die „School Enterprise Challenge“ durchführt. Unterstützt durch den Lemonaid & ChariTea e.V. veranstaltete Teach a Man to Fish das Progamm von 2017 bis 2020 auch in Ruanda. Die Idee des landesweiten Programms ist es, früh den Unternehmer:innen-Geist der Schüler:innen zu wecken. Dadurch will die Organisation die hohe Jugendarbeitslosigkeit von 19,4 Prozent in Ruanda bekämpfen. In einem ersten Schritt des Programms bildete Teach A Man to Fish Lehrende von teilnehmenden Schulen als Multiplikator:innen aus und stattete sie mit den erforderlichen Unterlagen aus. Diese vermittelten anschließend auf spielerische Art und Weise den Schüler:innen unternehmerische Kompetenzen sowie wichtige Soft Skills. Darauf aufbauend entwickelten die Schüler:innen eigene kleine Business-Ideen und setzten diese in die Praxis um. Die School Enterprise Challenge war ein echter Erfolg: Zwölf dieser Firmen, wie z.B. eine Gemüseproduktion oder eine Manufaktur für gestrickte Babykleidung, haben den sogenannten „Gold Status“ erreicht. Gold Status bedeutet, sie haben ihr Geschäft mindestens zwei Jahre lang profitable betrieben. Die erzielten Profite wurden clever reinvestiert: entweder in die Unternehmen selbst oder um benachteiligte Schüler:innen zu unterstützen und Lehrmaterialien wie z.B. Schulbücher zu kaufen. Profitiert haben davon 33 Schulen mit insgesamt weit mehr als den ursprünglich geplanten 1.000 Schüler:innen. Der Wettbewerb erhöhte nachweislich die Jobchancen bzw. die Einstiegsgehälter der Teilnehmenden: Eine Untersuchung aus dem Jahr 2019 ergab, dass ehemalige Teilnehmende der School Enterprise Challenge in Ruanda durchschnittlich fast dreimal so viel im Vergleich zum Landesdurchschnitt der 16-bis-24-Jährigen verdienten.

Über die drei Jahre arbeitete Teach A Man To Fish außerdem eng mit lokalen NGOs, Kirchen und offiziellen Schulämtern der Bezirke zusammen, um die Idee und vor allem das Potenzial ihres unternehmerischen Bildungsansatzes zu teilen. Außerdem wollten sie gemeinsam einen Weiterförderungsplan des Wettbewerbs über den Förderzeitraum unseres Vereins hinaus entwickeln. Diese Absichten wurden allerdings durch die Corona-Pandemie durchkreuzt, weitere Pläne wurden nun vorerst auf Eis gelegt. Die Pandemie beeinträchtigte auch die aktuelle Projektdurchführung: Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen beschloss die Regierung den Präsenzunterricht an den Schulen von März bis September auszusetzen. Die Regierung bot zwar alternative Bildungsprogramme für daheim an, diese können jedoch von vielen Schüler:innen ohne entsprechende Geräte und Internetzugang nicht genutzt werden. Teach A Man To Fish hat sich deshalb für die Quarantäne-Zeit ein Übergangsprogramm überlegt: In “Summer Business Clubs“, einer Light-Version des landesweiten Wettbewerbs, haben die Schüler:innen in Kleingruppen Kurzzeitprojekte auf die Beine gestellt.

Schüler:innen am CCSME © Jean Bizimana 2017

Erfolgreiche Unternehmensgründungen in der ruandischen Grenzregion

Eine ähnliche Strategie wie Teach A Man To Fish verfolgt auch das Kompetenzzentrums für kleine bis mittlere Unternehmen (CCSME) im Westen Ruandas. Auch hier sollen junge Erwachsene darin unterstützt werden, eigene innovative Geschäftsideen zu verfolgen. Friends of Ruanda e.V. (FoR), unser Projektpartner vor Ort, leitet das Zentrum, das von 2017 bis 2020 vom Lemonaid & ChariTea e.V. finanziell unterstützt wurde. Das Zentrum bietet eine umfangreiche, zweieinhalbjährige Weiterbildung zu unternehmerischen Kompetenzen wie z.B. Finanzplanung, strategisches Marketing und Business-Plan-Erstellung. In den letzten drei Jahren bildete das Zentrum insgesamt 35 Jugendliche, größtenteils Frauen, aus. Wesentlicher Bestandteil der Ausbildung ist das Erstellen eines eigenen Business-Plans. Die besten 20 Vorschläge erhielten am Ende der Ausbildung ein Startkapital von 1.000 Euro. Alle Empfänger:innen gründeten damit – weiterhin begleitet und unterstützt vom CCSME – eigene Unternehmen wie z.B. ein Fotostudio, eine Kaninchenzucht oder einen Friseursalon. Alle der 20 neu gegründeten Unternehmen haben sich bisher gut entwickelt und jeweils mindestens zwei neue Mitarbeiter:innen angestellt.

Insgesamt haben die Absolvent:innen in vielerlei Hinsicht von der Ausbildung am CCSME profitiert: Durch das feste Einkommen und der damit zusammenhängenden finanziellen Unabhängigkeit sind sie deutlich selbstbewusster und konnten beispielsweise sich und ihren Familien die Krankenversicherung zahlen. Auch ein Multiplikator-Effekt war erkennbar, d.h. die Teilnehmenden der Weiterbildung gaben ihr erlerntes Wissen an ihre eigenen Communities weiter. So ist der Business-Gedanke auch auf die Anwohner:innen der Rubavu Region übergesprungen. Eine Gruppe von 15 jungen Müttern aus der Region hat sich beispielsweise mit einem Näh-Projekt im Februar dieses Jahres selbstständig gemacht und lernt nun weitere Näherinnen an.

Workshop zu Ernährung und Gesundheit © Masifunde

Ernährung- und Gesundheitskampagne im Walmer Township zeigt Wirkung

„Young Entrepreneurs for a Healthy Community”, das ist die Vision von Masifunde, einer gemeinnützigen Organisation aus Port Elisabeth am Ost Kap Südafrikas, die unser Verein für ein Jahr von 2018 bis 2019 finanziell unterstützte. Die 2003 gegründete Organisation versucht mit einem ganzheitlichen Ansatz zwei der Probleme im Walmer Township, einem der ärmsten Viertel des Ost Kaps, zu bekämpfen: die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Mangelernährung. Masifunde betreibt die Cafeteria MyMito, in der jeden Tag warme und gesunde Speisen zu erschwinglichen Preisen für die Community und die angrenzende Schule zubereitet werden. Darüber hinaus bietet die Einrichtung zwei verschiedene berufliche Ausbildungen für Jugendliche aus dem Township an.

Sechs Jugendliche wurden in der Projektdauer in einem Gastwirtschaftskurs zu professionellen Köch:innen ausgebildet und zehn Jugendliche zu Baristas. Beide Ausbildungen dauern jeweils zwölf Monate und vermitteln neben fachlichen vor allem auch unternehmerische Kompetenzen. Ein Teil der Absolvent:innen wurde direkt von MyMito und einem Kaffee-Produzenten eingestellt. Andere haben sich mit einem eigenen Food-Truck selbstständig gemacht. In dieser Zeit stellten sie allerdings fest, dass die Nachfrage nach gesunden Nahrungsmitteln in der Bevölkerung sehr gering ist. An diesem Punkt setzte Masifunde mit einem dritten Standbein an: Im Rahmen einer Gesundheitskampagne vermitteln sie Einwohner:innen des Walmer Townships, wie sie sich – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – gesünder ernähren können. Um die Reichweite und damit den Impact der Kampagne noch zu erhöhen, hat Masifunde außerdem eine Informationsbroschüre sowie vier YouTube-Videos erstellt. Insgesamt wurden in einem Jahr in 93 Workshops 2.650 Menschen, vor allem Schüler:innen von benachbarten Schulen, aufgeklärt. Das Feedback der Teilnehmenden war sehr positiv, viele Eltern berichteten von mehr Energie und einer besseren Gesundheit.

Mitglied der Textilkooperative von RSF. © Jean Bizimana 2017

Frauen-Kooperativen im Westen Ruandas stärken solidarisches Zusammenleben

Ein weiteres Projekt in Ruanda ist das Frauenkredit-Programm von Rwanda Sustainable Families (RSF). Der Lemonaid & ChariTea e.V. förderte das Projekt von 2017 bis 2020. Der Fokus von RSF liegt auf der Stärkung von Frauen durch die Schaffung von Einkommensmöglichkeiten. In den letzten drei Jahre hat RSF insgesamt 210 Frauen, vor allem junge Mütter und Frauen aus benachteiligten Verhältnissen, aus dem Rubavu District im Westen Ruandas durch das Programm finanziell unterstützt. Die Frauen im Programm haben an einer Weiterbildung zu verschiedenen unternehmerischen Kompetenzen wie Entrepreneurship, Geldanlage und kooperatives Management, aber auch zu Themen wie genderbezogene Gewalt, Einheit und Versöhnung teilgenommen. Anschließend schlossen sich die Teilnehmerinnen zu sogenannten Spar- und Kreditgenossenschaften zusammen.

Jedes Mitglied zahlt wöchentlich einen vereinbarten Betrag in ein gemeinsames Sparkonto ein. Für den Fall, dass eine der Frauen in finanziellen Schwierigkeiten gerät, kann ihr davon ein Kredit ausgezahlt werden. Die Projekt-Teilnehmerinnen gründeten mit RSF außerdem insgesamt fünf offiziell eingetragene Kooperativen, in den Bereichen Schweinezucht, Seifenproduktion, Backwarenherstellung oder Landwirtschaft. Für die Umsetzung gewährte ihnen RSF ein Startkapital als Darlehen. Zum gegenseitigen Austausch über aktuelle Probleme und Herausforderungen treffen sich die Projektteilnehmerinnen weiterhin regelmäßig innerhalb der Kooperativen zu wöchentlichen Gruppentreffen. Neben den reinen Geschäftsbeziehungen bildeten sich dadurch auch freundschaftlich-solidarischen Strukturen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Matratzen-Tausch-Programm, wodurch alle Mitglieder mit guten Schlafmöglichkeiten versorgt werden. Die Solidarität unter den Frauen zeigte sich auch in der Krise: Infolge der Corona-Pandemie mussten die Kooperativen den Großteil ihrer Projekte stoppen. Die Mitglieder der Kooperativen beschlossen allerdings, die Gehälter trotzdem weiterhin als Kredite auszuzahlen. Nachdem die Ausgangssperren in Ruanda mittlerweile wieder gelockert wurden und die Projekte wieder anlaufen, konnten die Gelder nach und nach wieder zurückgezahlt werden. Neben der Corona-Pandemie machen auch die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise der Rubavu-Region, vor allem den dort lebenden Farmer:innen, immer mehr zu schaffen.

Die Unterstützung unternehmerischer und innovativer Ideen ist einer der Schwerpunktthemen der Projektförderungen unseres Vereins. Dadurch können nicht nur zusätzliche Einkommensmöglichkeiten, sondern auch neuartige, auf die Bedürfnisse der Community und die Herausforderungen dieser unsicheren Zeiten angepasste Lösungen entstehen. Oft bedeutet dies, dass das Rad gar nicht neu erfunden werden muss, sondern die Innovation liegt darin, bestehende Ansätze in einen anderen Bereich zu übertragen, z.B. den Unternehmenswettbewerb auf den Schulkontext und so unternehmerisches Denken bereits im jungen Alter zu fördern. Durch einen besonderen Fokus auf Frauen und anderen benachteiligte Gruppen, haben viele der vom Lemonaid & ChariTea e.V. geförderten Projekte außerdem eine wichtige emanzipatorische Wirkung.